Zeitzeuge Siegfried Heilig

„Ihr seid das Volk!"

Am Montag, den 19. Januar 2015, kam an das Christoph-Jacob-Treu Gymnasium in Lauf der 80-jährige Sinto Siegfried Heilig, der im Zweiten Weltkrieg aufgrund seiner Herkunft verfolgt wurde, um von seinen Erfahrungen zu berichten.

Siegfried Heilig wurde 1934 in Magdeburg geboren. Alle seine Verwandten waren Sinti und besaßen u. a. Schießbuden, Kinderkarusselle und Ponyreitbahnen. Sein Großvater und Vater hatten im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft.
Er durfte die Schule nur für ein Jahr besuchen; in dieser Zeit wurden er und sein Bruder oft als „Zigeuner“ beschimpft und geärgert. Er erzählte, dass ihm oft von den anderen Kindern das Pausenbrot, welches seine Mutter aufgrund des Nahrungsmangels unter viel Mühe zubereitet hatte, weggenommen und auf den Boden in den Dreck geworfen wurde. Auch die Lehrer wollten ihnen nicht helfen, da  sie ebenfalls die Sinti als minderwertig betrachteten.
Obwohl die Großmutter der Meinung war, die Familie käme nicht ins Konzentrationslager, da die Männer im Ersten Weltkrieg Soldaten gewesen waren, sollte diese schon bald darauf umgebracht werden, wie viele andere Sinti, Roma, Juden und weitere Opfergruppen der Nationalsozialisten. Eines Nachts im März 1943 klopften Polizeibeamte und die Gestapo an die Wohnwagentüren und forderten die Menschen auf, mitzukommen. Herr Heilig war mit Vater, Mutter und zwei Brüdern gerade in einem Packwagen nebenan und verhielt sich leise. Dank der Großmutter, die behauptete, das sei ihr Packwagen und niemand sei darin, blieb die Familie unentdeckt. Die übrigen Angehörigen wurden in Viehwagons auf einem verlassenen Feld, dem sogenannten Holzweg, untergebracht, wo sie zu 70. auf engem Raum zusammenleben mussten, bevor sie dann ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebracht wurden. Nicht wenige starben schon am Holzweg.
Herr Heilig floh mit seiner Familie in die Wälder Brandenburgs, wo sie sich als Pilzesammler tarnten. Dort schliefen sie auch. Aus Hunger aßen sie Sauerblätter, Holunder und sogar Rinde. Er wünschte den Schülern, dass sie einen solchen Hunger niemals erleben müssten, da es Schmerzen wären, die sich die Schüler gar nicht vorstellen könnten. Das war ein emotionaler Augenblick, der den Schülern sehr naheging.
Mithilfe eines Landrats, eines Bekannten des Vaters, gelang es ihnen, sich im Umkreis von Magdeburg zum Beispiel auf Bauernhöfen zu verstecken und dort auch zu arbeiten. Das war mit Gefahr für die Bauern verbunden, da darauf die Todesstrafe stand. Dieser Landrat, von dem der Vater zum dessen Schutz nichts erzählte, gab ihnen die Genehmigung, als Marionettenspieler aufzutreten. Obwohl sie damit ein wenig Geld verdienten, litt die Familie weiter unter Hunger und aß u.a. die für Schweine bestimmten, verfaulten Kartoffeln. Dass seine Kernfamilie die zwei Jahre im Wald und damit auch den Holocaust überlebt hat, grenzt an ein Wunder. All das, was der Familie zugestoßen war, war für den damals Neunjährigen schwer zu verstehen, da sie nichts falsch gemacht hatten und sich als Deutsche fühlten.
Zur Veranschaulichung der Schicksale der meisten Sinti und Roma wurden Totenbücher herumgereicht, in denen alle im Konzentrationslager Auschwitz getöteten Sinti und Roma aufgelistet sind (etwa 500 000, was der heutigen Einwohnerzahl Nürnbergs entspricht) und es wurden Filmausschnitte und eine Diashow gezeigt.

Der Vortrag war sehr ergreifend, was sehr gut an der Stille im Saal abzulesen war, und die Schüler fanden es bewundernswert, dass Herr Heilig so über seine schwierige Vergangenheit gesprochen hat. Begleitet wurde er von Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung Bildung und Beratung Nürnberg, die ihn unterstützte und den Auftritt  moderierte. Die Schüler stellten nach der Rede Fragen an Herrn Heilig, wie zum Beispiel, wie er der Armut entkommen sei. Seine Antwort war: durch das Marionettenspiel, das ihm allerdings heute keine große Rente beschere. Heute lebt er in Nürnberg und hat vier Töchter und einen Sohn.

Am Ende appellierte er an die Schüler, dass so etwas nicht wieder passieren dürfe und es läge an ihnen, an der Jugend von heute, dies zu verhindern, denn sie seien das Volk.

Eileen Dierner und Paula Keding (9a)